Beim Bau der Intrige – über Filme, die was machen. Teil 1: Torre Bela

Thomas Harlan: Torre Bela (Portugal 1975, 105 min)

»Wie beim Bau einer Intrige entstand ein Film nicht aus einem Drehbuch, sondern zunächst mal entstand nur Wirklichkeit« (Thomas Harlan über »Torre Bela«)

„Torre Bela“ ist ein Dokumentarfilm über die Nelkenrevolution in Portugal: Er zeigt die Besetzung eines Schlosses und die Gründung einer Kooperative. Ursprünglich sollte der Film anderen Kooperativen als Anschauungsmaterial dienen und ein Modell von politischem Handeln aufzeigen. Die Bauern der Kooperative wurden monatelang von der Kamera begleitet, so dass die Anwesenheit der Kamera selbstverständlich wurde: „Es fällt also gar nicht mehr ein, für sie, ohne sie, etwas zu machen (…) oder in sie reinzuschauen. Es gibt also in dem Film keinen Blick in die Kamera.“ (Thomas Harlan in Wandersplitter)

Vor dem Film findet eine Einführung, nach dem Film ein Gespräch mit Bert Rebhandl über „Torre Bela“ und zum Auftakt der Filmreihe auch über weitere Filme, die direkt in die Gesellschaft eingreifen wollen.

Bert Rebhandl (*1964 in Oberösterreich) studierte Germanistik, kath. Theologie und Philosphie. Er ist freier Journalist, Autor und Übersetzer in Berlin. Zudem ist er Mitherausgeber der Zeitschrift CARGO Film Medien Kultur (www.cargo-film.de), in deren Nummer 1 ein Gespräch mit Thomas Harlan erschien. Als Filmkritiker ist er für die FAZ/FAS, als Autor für Der Standard, tip, Frieze, Der Freitag, uva. tätig.  www.BRO198.net

Über die Filmreihe:
Seit der Moderne ist es vor allem das gesellschaftlich engagierte Kino von Eisenstein bis Farocki, das mit dem Anspruch auftritt, politische Ziele, aber auch Kritik erst in Bildern zu formulieren, um diese dann in der gesellschaftlichen Realität durchzusetzen. Heute hat sich dieser engagierte Film vielerorts in den Räumen der zeitgenössischen Kunst aufgelöst; aus dieser Verbindung entstehen neue Projekte, die den Zuschauer einbinden und aktivieren wollen: Als Rezipientin einer radikal anderen Lebensvorstellung, als Teilhaberin einer kommenden Gemeinschaft. Dabei verbinden sich alte und neue Strategien des Einbeziehens des Publikums, wie das Brechtsche Theater und Konzepte der Performativität. Performativität hat dabei eine doppelte Bedeutung und ist zum einen im Sinne des englischen Performance auf Auftritte und Darstellungen zu verstehen. Zum anderen geht es bei Performativität darum, wie bestimmte Auftritte und Darstellung, im Gegensatz zur Repräsentation, selbst Realitäten schaffen, statt auf sie zu verweisen. Für die Filmreihe ist diese zweite Bedeutung, die auf den amerikanischen Sprachphilosophen John Austin und seine berühmten, unter dem Titel How to Do Things With Words zusammengefassten Vorlesungen zurückgeht, zentral. In einer Auswahl von filmgeschichtlich relevanten sowie zeitgenössischen Arbeiten geht es um Filme »die etwas machen«, die Wirklichkeit herstellen, eine Situation entscheidend verändern; in denen die Kamera, das Filmteam, die Produktion eine Situation zuspitzt, aufdeckt, unmöglich oder eben erst möglich macht.
Dabei geht es um die Möglichkeiten eines aktivistischen Kinos, um engagierten Dokumentarfilm, sowie um die Beschränkungen, mit denen sich künstlerische und politische Filmprojekte konfrontiert sehen, wie direkte und indirekte Zensur. Die Reihe findet im Luru Kino statt, um dort eine intensive kritische Auseinandersetzung im Gespräch von Publikum und eingeladenen Expert_innen zu ermöglichen.

Kuration: Lena Brüggemann, Anke Dyes, Clemens von Wedemeyer