„Es ist beschlossen: wir verfilmen Kapital nach dem Drehbuch von Karl Marx – die einzige formale Lösung“, notiert Sergej Eisenstein am 12. Oktober 1927 in seinem Tagebuch. Das Projekt, das dem Arbeiter „das dialektische Denken beibringen“ und im gleichen Zug die literarischen Verfahren von James Joyce filmisch umsetzen sollte, wurde nie realisiert. Die obsessive theoretische wie experimentelle Arbeit am Kapital-Projekt markierte eine Phase, in der Eisenstein nicht nur den Begriff des „Essay-Films“ erfand, sondern die ästhetischen, politischen und epistemischen Grundlagen der filmischen Form transformierte. Wie ist ein begriffliches Denken auf der Ebene der Bilder möglich? Wie können diese Bilder den wachsenden Personenkult demontieren – ähnlich wie die Statue von Alexander III am Beginn von Oktober? Wie lässt sich die Theorie des „Mehrwerts“ vor Augen führen? Einen filmischen Raum, der dies vermag und in dem sich eine exzentrische Überschreitung jeder möglichen Form vollzieht, ohne selbst in einem Film zu münden, wollen wir diskutieren. Eisenstein stellte diesen Raum im Projekt eines „kugelförmigen Buches“ vor, in dem die Kapitel nicht nacheinander, sondern gleichzeitig wahrnehmbar wären, ein Buch, das „rein räumlich die Möglichkeit schafft, dass jeder Beitrag unmittelbar mit einem anderen in Beziehung tritt“. Anhand von unveröffentlichten Dokumenten aus Eisensteins Archiv werden wir den vielen Verbindungen zwischen Eisensteins Kapital-Projekt – das neben Texten und Zitaten auch Bildcollagen, Ausdrucksdiagramme und Zeichnungen enthält – und seinem großen Theorieprojekt Methode (1932-1948) nachgehen.
Vortrag und Gespräch.
Eisensteins Kapital-Projekt, 1923